
Die Fußballweltmeisterschaft in Katar
Ich glaube, ich habe da etwas gänzlich falsch verstanden. Immer wieder kochte in den letzten Tagen die Diskussion um die Kapitänsbinde hoch, die jetzt zum Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar einige Fußballer tragen wollen oder sollen – manche erklärten ja zuletzt, sie verweigerten dies. Ich fand die Idee eine äußert spannende, sozusagen eine vollkommen neue Form des Miteinanders, wenn plötzlich einige Herren mit Augenbinde blindlings über den künstlich grünen Rasen stolpern, der mit dem Blut von rund 15.000 elend verreckten Gastarbeitern gedüngt wurde. Aber natürlich habe ich da etwas wohl in der Tat nicht korrekt eingeordnet, ich Schussel auch. Die Binde kommt an den Oberarm, nicht über die Augen. Ansonsten könnte sie fälschlicherweise ein Symbol für Gerechtigkeit sein und an unser Goldmariechen erinnern, die Göttin der Gerechtigkeit, auch Justitia genannt. Und mit der Spaßbremse will man im fußballbegeisterten Katar in den nächsten Wochen wirklich nichts zu tun haben.
Trotzdem, so ganz verabschieden möchte ich mich noch nicht von meinem Gedanken, die neue bunte Kapitänsbinde doch über die Augen zu streifen, denn immerhin wäre es von FIFA bis zum einzelnen Nationalspieler so erstmals glaubhaft vermittelbar, dass sie die ganzen Gräueltaten gegenüber Homosexuellen wirklich nicht sehen können. Eine Binde für die Vielfalt, die die Unterdrückung der Vielfalt unsichtbar macht. Aber nichts da, der Stofffetzen kommt an den gestählten Bizeps der Jungs, damit sehen sie noch etwas männlicher aus. Zum Glück erinnert die darauf ejakulierte Farbvielfalt in keiner Weise mehr an die Regenbogenfarben, jenes verächtliche Symbol für diese perversen homosexuellen Arschficker und Ficker:innen natürlich, die im Emirat noch immer gerne mit dem Tode bestraft werden. Erst im Sommer sorgte zuletzt bereits regenbogenfarbiges Spielzeug für helle Aufregung und musste sofort konfisziert werden – es drohte die Gefahr, am Homosexuellen-Virus durch Blickkontakt zu erkranken. Da hilft dann auch keine Impfung mehr, nicht mal rektal.
Würde man ernsthaft auf die jüngste Peinlichkeit der Fußballwelt blicken, auf die geheuchelten Lügen, die allein der infantile Infantino, seines Zeichens FIFA-Chef und Schweizer Geldsammler, von sich gibt, man müsste sich alsbald übergeben. Nun also eine bunte Damenbinde für die Oberarme, um ein Zeichen für Vielfalt zu setzen, ohne das EINE Zeichen für Vielfalt zu verwenden, damit die Freunde der Vielfalt sich trotzdem freuen und die Feinde der Vielfalt sich nicht ärgern müssen. Sozusagen eine Win-Win oder Fuck-Fuck-Situation, je nachdem, wer sich von wem mehr mental gefickt fühlt. Die Presse kübelte Häme über die tolle Idee der Kapitänsbinde aus, die Rede ist von einer “symbolpolitischen Lächerlichkeit“ oder direkt “Rückgratlosigkeit“. Anderenorts wird noch diskutiert, ob nicht ein spektakuläres Coming Out eines Fußballspielers vor Ort ein Zeichen für Toleranz darstellen könnte – quasi frei nach dem katarischen Motto: „Den millionenschweren Kicker können wir leider nicht direkt exekutieren, aber wir lassen unseren Zorn darüber dann einfach wieder an den einheimischen Homosexuellen aus, sobald der letzte Ball ins Tor gerollt ist.“ Ich hingegen, ich bin einfach nur noch müde. Das mag am Wetter liegen, an dem Berliner Licht, das Loriots Diskussion um Grautöne ad absurdum führt, oder aber auch an der Tatsache, dass die Maschinerie von Homophobie immer nach dem gleichen Schema abläuft. Sobald Macht oder Geld in den Vordergrund rücken, zählen Menschenrechte nichts mehr. Das Beschämende sind nicht die Zustände in Katar, so grausam sie sind, sie sind schon lange so, das Beschämende sind die Versuche westlicher Vertreter aus Sport und Politik, die Situation trotzdem irgendwie schön zu reden und dabei ernsthaft glauben, Homosexuelle mit einer Fake-Binde zufriedenstellen zu können.
Ich würde mir ein wenig mehr Ehrlichkeit wünschen. Es wäre an der Zeit, dass Infantino und die anderen Herrschaften, deren geistiger Horizont in ein grünes Feld mit einer Maximalgröße von 90 x 120 Metern passt, vor die Kameras treten und folgendes erklären: „Liebe Fußballfreunde, jetzt mal Butter bei die Fische, die Scheichs zahlen uns unfassbar viel Blutgeld. Das hat bei uns allen eine solche Dauererektion ausgelöst, weswegen wir alle Verträge sofort unterschrieben haben und leider kaum noch Blut fürs klare Denken übriggeblieben ist. Und wenn wir ehrlich sind, Menschenrechte waren uns schon immer absolut egal. Und noch mehr das Leben von Homosexuellen. Sonst würden wir doch seit Jahren etwas gegen die nachweislich sehr hohe Homophobie in Fußballstadien und unter den Fans tun, hier wie anderenorts. Es geht uns doch nicht um den Sport – seid ihr komplett irre? Dann müssten wir die Tickets doch nicht für bis zu 10.000 Euro das Stück verkaufen, oder? Bitte, liebe aufgebrachte Menschenschar, beruhigt euch doch endlich, Sportler und der Sport sind uns seit vielen Jahren einerlei, wir lieben den alten ABBA-Hit Money, Money, Money. Warum sonst würden unsere lieben Kollegen vom Olympia-Komitee die asiatischen Winterspiele 2029 nach Saudi-Arabien vergeben. In die Wüste (lautes Lachen), ich meine, die Wüste! Skifahren im heißen Wüstensand. Und die Begleitmusik kommt von Heino, der singt: „Brennend heißer Wüstenstand, so schön, schön war die Zeit, so schön, schön war die Zeit…“ Ich meine, Wüste (lacht noch lauter), wir verstehen uns, ja? Wo war ich? Ach, ja! Menschenrechte sind uns absolut egal. Bitte hört endlich auf, uns danach zu fragen. Uns gehen allmählich die Ausreden, die wohltätigen Wohltätigkeits-Fake-Veranstaltungen und die verlogenen Aktionen für Vielfalt echt auf die Nerven. Wissen Sie eigentlich, wie anstrengend es ist, dabei immer so ernst in die Kamera zu blicken und nicht schallend lachen zu müssen? Ich meine, Hallo, Homosexuellen-Rechte in Katar? Was wollt ihr denn demnächst? Einen Pride-Monat in Moskau mit Putin als Schirmherr? Bitte? Das ist jetzt etwas zu ehrlich? Wie? Das ist belastend für euer Gewissen? Das tut mir leid. Daran habe ich für einen Moment nicht gedacht. Das ist natürlich schlimm, ihr habt recht. Menschenrechtsverbrechen sind stets nur solange akzeptabel, solange sie nicht eure heile Welt bedrohen. Sorry. Mein Fehler. Ansonsten müsstet ihr euch, all die Fußballfans und TV-Zuschauer, ja mal ernsthaft fragen, was zum Teufel ihr da macht. Nein, das will man ja auch nicht. Also, zurück auf Anfang. Lassen Sie mich folgendes erklären: Die OneLove-Kapitänsbinde betont, dass alle im Fußball mindestens eines gemeinsam haben: ihre Liebe zu diesem Spiel. Wir wollen alle Menschen vereinen und verbinden und sind daher gegen jede Form von Ausgrenzung und Diskriminierung. Nicht nur Diskriminierung von LGBTQ, sondern auch gegen Rassismus. So, gut, jetzt reicht es aber, wir müssen gehen, sonst kann ich den Lachflash nicht mehr zurückhalten. Guten Abend.“
Credit Bild: DFB





