Posted on: 22. August 2022 Posted by: MDamerius Comments: 0

Fesselspiele und unsere dunklen Begierden 

„Ich will ´nen Cowboy als Mann“ – so wunderbar besang die Liebe zu den Kerlen, die einen mit dem Lasso einfangen können, Schlagersängerin Gitte Hænning. Auch wenn die liebe Gitte in den 1960iger Jahren sicherlich nicht an schwule Fesselspiele gedacht hat – oder vielleicht gerade doch? –, so trällern wir Jungs vom anderen Ufer bis heute sehr gerne den Schlager auf jeder Party mit. Und nicht gerade bei wenigen Gays gibt es eine gewisse Faszination für den Kerl mit dem Seil in der Hand und der Frage, was würde der Cowboy mit einem anstellen, wenn wir gefesselt vor ihm liegen würden?

Generell scheint uns homosexuellen Jungs und Männern die Welt der Fesselspiele eine deutlich nähere zu sein als vielen heterosexuellen Personen, die scheinbar erst durch den Bestseller „50 Shades of Grey“ so richtig verstanden haben, dass Bondage und BDSM-Spielchen durchaus auch reizvoll sein können. Das Spiel gerade mit den Fesseln und der Bestrafung ist für jeden fünften schwulen Single-Mann ein fester Bestandteil seiner Sexualität. Und selbst in einer festen Partnerschaft lieben noch rund sechzehn Prozent SM-Spiele zur Luststeigerung. Für manche gehört dies als eine Variante von vielen zur Abwechslung im Bett, für andere wiederum ist es ein wesentlicher Aspekt und ständiger Begleiter beim Sex.

Ein Spiel, das Vertrauen voraussetzt

Ein wichtiger Punkt gerade beim Spiel mit den Fesseln ist dabei Vertrauen. Ein wesentlicher Grund, warum häufiger mit vertrauten Partnern auf diese sexuelle Variante des Lustgewinns zurückgegriffen wird. Bei einem schnellen oder anonymen Sexdate ist für viele Jungs die Gefahr zu groß, was der Fremde mit einem machen könnte, wenn man sich ihm gänzlich ausliefert. In der Welt der dominanten Spiele mitsamt Seilen und Handschellen besteht der Lustgewinn ein Stück weit auch in der glaubhaften Illusion des Kontrollverlustes – angekettet im Bett liegenbleiben zu müssen, während der Fremde die Habseligkeiten aus der Wohnung schafft, gehört nicht dazu. Zudem stellt sich bei einem spontanen Date die Frage, wie routiniert das Gegenüber mit Seilen oder anderen Utensilien wie Ketten, Klemmen oder Handschellen umgehen kann. Richtig genussvoll wird ein solches Treiben erst, wenn der dominierende Part weiß, was er wirklich macht und wie er in der Situation agiert. Ansonsten ist es nicht viel mehr als ein netter Showeffekt.

Ein anderer Aspekt ist das Thema Zeit. Ein Quickie kommt meistens ohne SM- oder Fesselspiele aus, denn um richtig und mit viel Genuss diese Leidenschaft auszuleben, braucht es Zeit. Klar, manchmal wollen wir die schnelle Nummer für zwischendurch, doch sollten wir uns vielleicht öfter die Möglichkeit erlauben, mit mehr Zeit auch viel mehr Spaß beim Sex zu haben. Der Trend hin zum Slow Food, also zum genussvollen Genießen von Speisen, lässt sich auch beim Sex weiterführen.

Sexueller Genuss entsteht nur mit ausreichend Zeit

Das Gefühl, ausgeliefert zu sein, die Fesseln auf der Haut zu spüren, ist ein sehr individuelles und sehr intensives Gefühl. Seile fühlen sich ganz anders an als kalter Stahl. Zudem können wir mit Kerzenwachs und Wasser prickelnde und abwechslungsreiche Nervenexplosionen in unserem lustvollen Gehirn erzeugen. Zwischendurch können wir mit Gleitgel oder unterschiedlichen Massage-Ölen unsere Haut geschmeidiger machen und wiederum ein völlig neues Empfinden erleben. Es geht natürlich zum einen um den Kontrollverlust als Befreiung im Partnerspiel, den Kopf auszuschalten und einfach über nichts mehr nachdenken zu müssen. Das können wir mit dem richtigen Mann auf wunderbare Weise erleben. Es funktioniert aber zum anderen auch genauso gut im Alleingang, wenn wir uns erlauben, unsere Sinne intensiver wahrzunehmen. Spüren, fühlen, schmecken. Wir haben gefühlt schon eine Million Mal uns selbst einen Orgasmus beschert, trotzdem könnten wir immer noch etwas Neues beim Masturbieren entdecken – ob nun alleine, oder zu zweit. Immerhin fünfundneunzig Prozent der Schwulen tun es regelmäßig. Laut einer Studie erleben Männer dabei rund 7.200 Orgasmen in ihrem Leben. Für schwule Männer ist die Zahl kaum vorstellbar, entspricht sie doch den Orgasmen von vielleicht gerade einmal einem Jahr, oder? Doch genug von der Statistik, konzentrieren wir uns wieder auf die Lust. Schon der griechische Philosoph Sokrates soll gesagt haben: „Unterwerfung ist ein Geschenk, geboren aus der Stärke, genährt durch Vertrauen, erhalten durch Respekt und Achtung.“ Vielleicht glauben wir dem alten Herren mit Rauschebart einfach, immerhin soll er in puncto griechischer Knaben kein Kostverächter gewesen sein.    

Eine neue Art von Lust entdecken

Egal, wie oft wir Hand anlegen, ob allein oder mit mehreren, den Lustgewinn können wir auch als Meister-Masturbatöre noch deutlich steigern. Der Wechsel in unserem Spiel bringt den richtigen Kick hinein. Wir können unseren Prügel hart anpacken oder sanft, wir können mit Schmerzen als Lustgewinn spielen, mit Reizen und Eindrücken. Der kalte Stahl, unnachgiebig und hart, gegenüber den Fesseln. Das Aufbegehren und nachgeben. Ebenso wie das Spiel mit dem Fremdwichsen (Stichwort Edging), das Hinauszögern bis zur Explosion. Handschuhe auf unserer Haut – von Leder bis zum Winterfäustling. Die Möglichkeiten der Entfaltung sind vielfältig und laden ein, sie stückweise zu erkunden. Dabei muss nicht alles gefallen, aber wir können unsere Sinne lustvoll auf Wanderschaft gehen lassen und frei von Vorurteilen oder gesellschaftlichen Moralvorstellungen erkunden, was uns Freude macht und unser Sexleben bereichert. Klingt das nicht spannend?

Mit Leidenschaft zum Super-Orgasmus?

Wann hattest du deinen letzten extrem guten Orgasmus? Zu lange her? Worauf wartest du dann noch? Vielleicht ist das Spiel mit Fesseln genau das richtige für dich, ein Spiel, das eine neue Freiheit mit sich bringt – für deine Leidenschaft ebenso wie für deinen Kopf. Die wunderbare Sängerin und Schauspielerin Jeanne Moreau sagte einmal: „Frei sein heißt, wählen können, wessen Sklave man sein will.“

Beim Ausleben von Fesselspielen mit einem anderen Kerl oder mehreren geht es immer auch um Macht. Doch der offensichtliche Schein kann auch hier trügen. Trotz Ketten oder Seilen am Körper kann der gefesselte Mann der dominierende Part, der Bestimmende sein. Und gerade in der Community gibt es auch viele Switcher, die manchmal gern dominant und ein anderes Mal lieber devot sind. Mal geht es um Lust und Qual, um ein Wechselspiel, ein anderes Mal ist es ein simples „Weltvergessen“ – ein Erlebnis, bei dem man zu einhundert Prozent im Hier und Jetzt ist und an nichts anderes denken muss. Das gelingt umso leichter, je mehr man andere Sinneseindrücke (Telefone, helle Beleuchtung, Straßenlärm oder ähnliches) ausblendet. Wann warst du zuletzt einfach nur ganz im Augenblick verwurzelt? Kannst du dich schon gar nicht mehr daran erinnern? Dann wäre es aber wieder einmal höchste Zeit dafür, findest du nicht? Die Grenzen existieren nur in deinem Kopf – doch zum Glück wartet gleich daneben bereits deine Fantasie darauf, die roten Linien zu überschreiten und spannendes Neuland zu betreten. Das ist der Weg hin zum Super-Orgasmus.

Die dunkle Lust in sich entdecken

Wir sollten mehr dieser Lust nachgehen, uns öfter erlauben, sie zu erkunden. Was können wir schon verlieren? Diese dunkle Lust hat nichts mit einer gefährlichen Finsternis zu tun, sondern lebt in der Schattenwelt, in der sich all die größten Freuden verstecken. Sie ist nicht verboten, sie will aber gefunden und entdeckt werden – und ein bisschen müssen wir schon selbst etwas dafür tun. Unser Orgasmus dauert in der Regel nicht länger als zwölf kurze Sekunden, doch die Zeit davor gehört ganz uns. Mit etwas mehr Leidenschaft und Ruhe können wir so vorab dafür sorgen, dass die paar Sekunden des sexuellen Schlussakkordes unbeschreiblich mehr und intensiver werden.

Cumshots im Minutentakt?

Gerade viele junge Homosexuelle können manchmal gar nicht schnell genug ihren Schwanz auspacken, bevor sie bereits abspritzen. Die Urologische Klinik der Universität Köln hat festgestellt, dass der Orgasmus beim Mann durchschnittlich nach zwei bis drei Minuten eintritt. Twinks sind jung, dauergeil und was interessiert sie die nächste Stunde, wenn sie jetzt sofort drei Mal hintereinander ihren Samen in die Welt feuern können, oder? Liebe Jungs, klar doch, genießt das, doch wie wäre es, ab und an eine Pause einzulegen? Es geht nicht um Keuschheit auf Zeit – auch wenn das eine weitere, sehr spannende SM-Spielform sein kann -, es dreht sich darum, den Orgasmus und damit das Gefühl von Freiheit und Rausch im Kopf zu steigern. Viele junge Schwule sind in puncto Sex eher die Fastfood-Generation, quick, dirty und schnell bitte. Seit Anbeginn der Pandemie und diversen, damit verbundenen Einschränkungen bezüglich unseres Dating-Verhaltens herrscht zudem eine Art „Dauergeilheit“, die es noch schwerer macht, sich überhaupt noch zu zügeln. Die älteren Männer dagegen legen mehrfach ihren Schwerpunkt auf das Genießen. Ja, sie können sicherlich auch nicht mehr so oft und so schnell hintereinander einen Orgasmus erleben wie die Jungs, doch das Spiel mit Zeit und Erleben ist mehr als eine einfache Notwendigkeit im Alter. Es schafft ein geileres Empfinden für sich, seinen Körper und seinen eignen Orgasmus – und diese Lust auf den Genuss, auf Spielchen mit Fesseln, auf einen Mehrwert beim Sex ist etwas, das Jung wie Alt gleichermaßen erleben können. Vielleicht sogar zusammen? Also, ist es nicht an der Zeit, das nächste Mal dem Kerl dir gegenüber lustvoll ins Ohr zu raunen: „Ich will ´nen Cowboy als Mann. Also, hol´ dein Lasso raus uns fessle mich!“           

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