
Für den amerikanischen Fotografen Kynly ist die Sache klar – alles in ihm strebt in die Natur. Der junge Mann (32) lebt heute in Milwaukee, Wisconsin und streift gerne nackt durch die Natur des Bundesstaates – zu unserer Freude. Wir wollten von ihm wissen, warum er in so besonderer Weise der Natur verfallen ist.
Kynly, du fotografierst dich gerne draußen in der Natur. Was fasziniert dich dabei?
Es gibt nichts Schöneres als die Natur. Ich glaube, wir sind alle so verdrahtet, dass wir uns auf irgendeine Weise nach der Natur sehnen, unsere Evolution hat unsere Sinne auf die Natur abgestimmt. Ich liebe die Ruhe, wenn ich allein in der Wildnis bin, wo die einzigen Geräusche die der Natur sind. Für mich gibt es keinen größeren Frieden als auf dem Gipfel eines Berges zu sitzen und den Sonnenuntergang zu beobachten oder sich in einem riesigen Wald zu verlieren. Ich begann meine fotografische Reise mit Landschaftsaufnahmen in Colorado. Als ich nach Wisconsin umzog, fand ich die Landschaft intimer als die großartigen Ausblicke in Colorado. Es lag nahe, meine Landschafts- und Porträtfotografie miteinander zu verbinden, um diese intimen Gefühle einzufangen. Für mich ist die Natur immer der Star, ich versuche nur, das Gefühl festzuhalten, wie es ist, in ihr zu sein.
Du bist die meiste Zeit über völlig nackt. Schafft das für dich auch eine besondere Verbindung zur Natur?
Das Nacktsein verstärkt das Gefühl der Gelassenheit, das ich habe, wenn ich in der Natur bin. Es ist für mich das Gefühl der völligen Freiheit. Ich möchte die Umwelt in ihrer Gesamtheit spüren. Ich möchte spüren, wie der Wind den Schweiß auf meiner Haut trocknet. Ich möchte die Wärme der Sonne an einem milden Frühlingstag spüren. Ich möchte spüren, wie das Wasser über jeden Quadratzentimeter meines Körpers strömt, wenn ich in einem Fluss schwimme. Kleidung soll uns dagegen nur von der Umwelt abschirmen. Das ist an einem kalten Wintertag willkommen, aber welchen Zweck soll sie an einem warmen Sommertag haben, außer, dass sie unseren Körper einschnürt?
Ist die Nacktfotografie damit auch eine besondere Kunstform für dich?
Mir gefällt an meiner Nackt-Fotografie die Zeitlosigkeit. Ich liebe es, Akt-Kunst aus verschiedenen Epochen zu betrachten und dabei immer wieder zu erkennen, dass wir genau gleich sind. Ich fühle mich dabei auch sofort mit dem Motiv, dem nackten Mann, stärker verbunden. Wenn man sich bekleidete Figuren in der Kunst anschaut, sieht man zuerst die Mode aus der Zeit, die die Kunst abbildet.
Ich denke, viele unserer Leser würden dich gerne auch einmal am See oder im Wald treffen. Worin liegt für schwule Jungs der besondere Reiz am Outdoor-Cruising?
Sex ist Vergnügen, warum also nicht dieses sexuelle Vergnügen mit der Freiheit der Natur verbinden? Bei vielen Jungs wie auch bei mir fanden einige der ersten sexuellen Begegnungen im Freien statt. Das war für mich die einzige Möglichkeit, den Eltern oder Mitbewohnern zu entkommen. Deshalb ist die Sache heute mit einer gewissen Nostalgie verbunden. Zudem ist es aber auch bis heute ein Tabu. Es ist aufregend, etwas zu tun, was wir nicht tun sollten; wir sollten keinen Sex haben, bei dem wir von einem Passanten erwischt werden könnten.
Bist du schon einmal erwischt worden?
Ich glaube nicht, aber ein paar Mal war es schon sehr knapp. Ich habe auch eine Heidenangst davor, erwischt zu werden, also bin ich meistens sehr vorsichtig. Am schlimmsten war es bisher für mich, als mein damaliger Mitbewohner meine Deviant Art-Seite entdeckte. Ich saß auf der Couch, er zückte sein Handy und zeigte mir ein Nacktbild von mir und fragte mich, ob ich das sei. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so gedemütigt gefühlt.
Wie bist du zur Fotografie gekommen und was fasziniert dich daran?
Ich war schon immer ein kreativer Mensch. Ich habe mit der Fotografie begonnen, um meine Liebe zur Natur einzufangen. Mein Weg, Bilder von mir selbst zu machen, war ein wenig speziell. Als Teenager hatte ich wirklich mit meinem Körperbild und meiner Sexualität zu kämpfen. Mit 19 Jahren wog ich 53 Kilo und war 186 cm groß. Ich beschloss, dass sich das ändern musste, also machte ich erst einmal ein paar Fotos. Bei der Durchsicht der Bilder stellte ich dann fest, dass ich meinen Körper gar nicht so sehr hasste, wie ich zunächst dachte. Ich entdeckte, dass ich die Porträtfotografie wirklich mochte, obwohl ich nur mich selbst als Motiv hatte. Ich lud einige dieser frühen Bilder auf Deviant Art hoch – ein großartiges Forum, um Inspiration und Kritik zu bekommen – und wurde sehr schnell in die Community aufgenommen. Je mehr Fotos ich machte, je mehr wuchs auch mein Selbstvertrauen. Ich merkte, dass es Menschen gab, die meinen Körper schön fanden, während ich mich vorher nur für meinen Körper geschämt hatte. Gleichzeitig sah ich online eine große Vielfalt von anderen Körpern. Ich erkannte schlussendlich, dass ich meine eigene Anziehungskraft bisher unterdrückt hatte. Deshalb ist meine Fotografie so wichtig für mich, sie hat mir geholfen, meine Sexualität zu entdecken und Selbstvertrauen zu gewinnen.
Viele unserer Leser werden dich definitiv sehr erotisch finden – was bedeutet Erotik heute für dich?
Erotik bedeutet für mich, Vertrauen in die eigene Sexualität zu haben. Dass man seine Schwächen und seine Vorzüge kennt und sie gleichermaßen zur Geltung bringt. Die erotischsten Situationen, die ich bisher erlebt habe, waren Situationen, in denen ich alle meine Sorgen loslassen konnte, alle aufdringlichen Gedanken und Ängste verschwunden waren. Sowas ist dann möglich, wenn man mit jemandem zusammen ist, von dem man weiß, dass er einen nicht verurteilt beziehungsweise wenn man sich sicher ist, dass man die Begierden des anderen teilt. Jeder ist dann ganz im Moment. Ich möchte mich gewollt fühlen, als wäre ich die wichtigste Person.
Zumeist blickst du in deinen Bildern nicht direkt in die Kamera – warum?
Ein direkter Augenkontakt impliziert, dass die Person direkt mit dem Betrachter kommuniziert, er durchbricht die vierte Wand. Ich möchte aber, dass meine Bilder eher malerisch wirken, als würde der Betrachter eine Szene aus der Sicht einer dritten Person beobachten. So ist es dem Betrachter möglich, sich seine eigene Geschichte auszumalen. Und ich möchte, dass der Betrachter dorthin schaut, wohin auch ich schaue, und den Ort mit mir zusammen entdeckt. Der Betrachter soll sich vorstellen, wonach ich mich sehne, und so seine eigenen Wünsche in die Erzählung projizieren.
Instagram @kynly_photo