
Von Männern mit Vaginen und Frauen mit Penissen
Wer regelmäßiger Leser oder Leserin meiner Kolumne ist, wird bereits wissen, dass ich lesbisch bin. Alle anderen wissen es jetzt. Ich erwähne das deswegen so explizit, weil die lesbische Frau heute innerhalb der Community zusammen mit den schwulen Jungs immer öfter und mit viel Schmackes angegriffen wird. Nun bin ich für jede Diskussion zu haben, da darf es auch gerne einmal verbal intensiv und ausdauernd zur Sache gehen – ähnlich wie beim Sex, wenn er denn gut sein soll. Keine Angst, Jungs und Männer, ich erkläre euch jetzt nicht, was Tribadie bedeutet. Ihr wisst, Google ist euer Freund.
Schlucken muss ich allerdings in letzter Zeit immer wieder, wenn ich digital oder aber auch gerne inzwischen im real life erlebe, wie Schwule und Lesben mit wüsten Beschimpfungen angegriffen werden – und zwar von anderen Mitgliedern unserer bunten Gurkentruppe. Warum? Sobald eine Lesbe die simple Tatsache äußert, dass sie nur auf Frauen und nicht auf „Frauen mit Penis“, also trans-und nicht-binäre Frauen ohne operativen Eingriff, steht, ist es um sie geschehen. Die Intensität der Empörung gleicht einer meterhohen Flutwelle, die auch Roland Emmerich in einem seiner Zerstörungsblockbuster nicht besser hinbekommen hätte. Natürlich geht es den Jungs genauso, wenn sie es wagen, zu sagen, dass sie so einen männlichen Schwanz schon recht ansprechend finden und daher zumeist weniger auf trans-Jungs mit Vagina abfahren. Ich muss erleben, wie Freunde und Freundinnen von mir, die seit mehr als zwei Jahrzehnten für queere Rechte kämpfen und sich auf Demos bereits vor vielen Jahren blutige Nasen und blau geschlagene Körperteile für unsere Sache geholt haben, jetzt als rechts außen, queerfeindlich und Abschaum beschimpft werden – an einem guten Tag. Anderenfalls wünscht man ihnen gleich die Pest an den Hals, spricht ihnen das lesbische Dasein ab und falls möglich, sucht man digital nach ihrem Arbeitsplatz oder Freundeskreis, um sie dort in Misskredit zu bringen.
Wie ist es so weit gekommen? Noch absurder wird es dann, wenn sich Lesben anhören lassen müssen, sie seien “oberflächliche Fotzen“, wenn sie darauf bestehen, dass ihre Lebenspartnerin eine Vagina hat. Man liebe ja schließlich nicht ein Körperteil, sondern einen Menschen. Mit der gleichen Begründung könnte man auch direkt die gesamte Homosexualität zur Seite wischen. Vielleicht sollte ich demnächst in einer Bar mal einen fremden Schwulen ganz direkt ansprechen: „Hey, schwuler Junge, ja, du stehst auf Boys, aber ich bitte dich, man verknallt sich doch in einen Menschen und nicht in einen Penis. Also, wie wäre es mit uns zwei? Ich hab auch tolle Dildos zu Hause.“ Eigentlich, natürlich, ist das alles zum Lachen, so absurd, überdreht und schlicht durchgeknallt ist es. Eigentlich. Wenn jene Menschen, die genau diese Meinung lautstark überall in die Gegend hinaus schreien und tippen, nicht medial als neue Leitlinie in puncto Diversität aufgebaut werden – abseits von Biologie oder der Gesinnung der Mehrheit innerhalb wie außerhalb der Community.
Homosexualität bedeutet, ich fühle mich sexuell und emotional zu einem Menschen des gleichen Geschlechts hingezogen. Warum das so ist, darüber wird seit Jahrzehnten geforscht – dass das Ganze aber biologisch und wahrscheinlich schon genetisch beziehungsweise noch im Mutterleib angelegt wird, ist inzwischen eigentlich wissenschaftlicher Konsens. Müssen wir uns wirklich ernsthaft dann inzwischen dafür rechtfertigen, dass wir eine Vagina, Brüste und einen weiblichen Körper sexy finden als Lesben? Muss ein schwuler Kerl sich ernsthaft als queer-trans-non-binär-feindlich entschuldigen, weil er gerne Schwänze bläst? Das ist Biologie!
Gut, die hat ja inzwischen auch einen schlechten Stand, man hat ja heutzutage kein Geschlecht mehr, man bekommst eines “zugewiesen“. Wann war das noch einmal genau, als wir in der Community die Abzweigung Richtung Irrsinn genommen haben und unser Hirn seitdem im Schleudergang langsam aufweicht? Und nur zur Klarstellung: Ich bin mit einigen trans- und nicht-binären Menschen gut befreundet, ich lebe in der Community und wirklich niemand stimmt dem Irrsinn zu, der jetzt als neue, einzig wahre Denklinie kolportiert wird.
Die Frage ist, was passiert nun? Wie im Leitartikel bereits geschrieben, gibt es erste Bemühungen, dass sich die Community ganz offiziell aufspaltet. Vielleicht nur konsequent, denn die Risse sind für die meisten unter uns schon mehr als deutlich sichtbar. Vielleicht sollten wir es eine Weile doch getrennt versuchen, und sei es nur, um zu erkennen, dass wir gemeinsam mit Vernunft mehr erreichen können. Und dass es keinen Sinn macht, wenn wir uns untereinander anfeinden.
Ich lecke wirklich gerne eine Vagina – und übrigens auch weibliche Brüste – und meine besten, schwulen Freunde gehen liebend gerne vor einem großen, harten Penis auf die Knie. Daran wird sich weder bei uns noch bei 99,9 Prozent aller anderen Homosexuellen demnächst etwas ändern. Was sich indes ändert, ist die Geduld, die langsam mehrheitlich wohl immer weniger wird, bei allem Verständnis im Kampf um rechtliche Gleichberechtigung für queere Menschen jenseits von LGB. Dieser Geduldsfaden ist vielerorts schon gerissen, auch deswegen, weil gerade die militanten und extremen “Frauen mit Penissen“ und “Männer mit Vaginen“ nicht verstehen wollen, dass man nicht die eigene Community angreift, die jahrzehntelang den Weg für das Heute bereitet hat. Ja, vielleicht tut uns eine Trennung wenigstens auf Zeit gut, denn ich bin es inzwischen tatsächlich leid, meine Liebe für Frauen verteidigen und erklären zu müssen. Das habe ich ein halbes Leben lang schon gegenüber heterosexuellen Flachköpfen tun müssen, ich will nicht noch einmal von vorne anfangen müssen. Also, Tschüss, auf bald, liebe anderen Buchstaben des Alphabets. Meldet euch wieder, wenn ihr zur Besinnung gekommen seid. Herzlichst, eure Ketzerin mit Vagina.