
Der Juli wird nicht nur mit Blick auf die anstehenden Pride- und CSD-Veranstaltungen ein ziemlich heißer Monat, sondern auch anhand des Konfliktpotenzials, dem sich unsere Community immer mehr ausgesetzt sieht. Besteht dabei nach über zwei Jahren Pandemie noch die Chance, in diesem Jahr wie in den guten alten Zeiten zu feiern und zu demonstrieren? Die guten alten Zeiten? Ist es dafür nicht längst zu spät?
Unsere Community muss sich fürwahr erneut heftigen Angriffen entgegenstellen, darunter steigenden Hassverbrechen, Rollbacks in Teilen von Europa und Homophobie, die erneut streckenweise gesellschaftsfähig zu werden scheint. Doch der gefährlichste Feind der Community sind wir aktuell selbst. Mit Wollust zerfleischen wir uns gegenseitig, gerade wenn es um die neuen gesetzlichen Ideen der Bundesregierung geht: Selbstbestimmungsgesetz, Pronomen-Pflicht (es könnten bald 2.500,- Euro Geldbuße bei Missachtung folgen) und queere Richtlinien, die nicht hinterfragt werden dürfen. Und während ein Teil der Community beseelt ist von dem Gedanken, stets das Richtige zu tun, solange es nur divers und bunt ist, wendet sich ein anderer Teil der Community immer mehr ab. Es scheint ein gewisses Verdrängen eingesetzt zu haben und fürwahr ist es für viele ein schmerzhafter Prozess, dass der Einsatz für Gleichberechtigung und Akzeptanz plötzlich anscheinend in eine derart absurde Richtung weitergetrieben wird, dass Kopfschütteln noch zu den milderen Symptomen gezählt werden kann. Dabei machen gerade Schwule, Lesben und Bisexuelle den Fehler, sich oftmals gar nicht erst mit den Debatten und den Inhalten beschäftigen zu wollen oder Argumente sowie Standpunkte beider Seiten gar nicht erst kritisch zu betrachten, um dann ein eigenständiges Urteil fällen zu können. Eine gefährliche Einstellung, die am Ende dazu führen kann, dass Lesben und Schwule eines Tages aufwachen und sich in einer erzkonservativen, Anti-LGBTQ-Gegenbewegung wiederfinden könnten.
Ist das denn alles so schlimm?
Wer so fragt, zeigt zumeist nur eins: Er hat die Lage bis heute nicht verstanden oder sich erst gar nicht damit auseinandergesetzt. Eines muss unmissverständlich gesagt werden: Wer kritisch neue Gesetze und Entwicklungen im queeren Bereich hinterfragt, ist zumeist nicht automatisch ein Feind von queeren Menschen – es geht hierbei ganz klar nicht um Polemik und Hetze, wie wir sie in der AfD oftmals vorfinden. Die Debatte um neue Gesetze wie das Selbstbestimmungsgesetz ist selbstverständlich auf beiden Seiten ein hoch emotionales Terrain, doch muss es erlaubt sein, Abstand von dem einfachen Freund-Feind-Denken zu nehmen und in die Grauzonen eintauchen zu können. Wer durchaus berechtigte Kritik oder Nachfragen an den konkreten Plänen des Selbstbestimmungsgesetzes äußert, ist nicht per se ein transphober Mensch. Vielleicht können wir uns als ersten Schritt eingestehen, dass die Emotionen auf beiden Seiten hoch sind, dann gemeinsam tief Luft holen und daraufhin Argumenten, Fakten und einem vernünftigen, sachlichen Austausch mehr beimessen als den schrillen Angriffen. Und vielleicht können wir zudem das Recht auf sachliche, freie Meinungsäußerung auch innerhalb unserer Community von neuem entdecken – auch LGBTQ-Menschen dürfen unterschiedlicher Meinung sein. Das ist kein Angriff, sondern Demokratie. Keine Phobie und Hass, sondern das Ringen um ein gemeinsames, besseres Morgen. Wer das nicht versteht und das Feld der sachlichen Diskussion bewusst missachtet, sollte am besten ganz schweigen und erst einmal nur zuhören.
Fakt ist: Pläne wie das neue Selbstbestimmungsgesetz greifen in ihrer aktuell angedachten Form nicht nur in das Leben aller (!) Menschen ein, sondern werden auch über die Köpfe einer Mehrheit bestimmt, die in letzter Konsequenz diese Pläne mehrheitlich ablehnt (Stern-TV Umfrage Mai 2022). Glauben wir ernsthaft, dass eine Mehrheit der Bundesbürger, Eltern, Mütter, Väter, Brüder, Schwestern, Tanten und Onkel es gut finden, wenn künftig vielleicht bald ihre 14-jährigen Kinder, Geschwister und Verwandten eigenverantwortlich ohne zwingende Zustimmung der Eltern oder Therapeuten Medikamente einnehmen und erste Schritte zu einer Geschlechtsanpassung vornehmen dürfen? Und noch einmal: Die Kritik richtet sich an konkrete Aspekte in dem Gesetzentwurf, nicht generell gegen die Idee einer Neugestaltung des Transsexuellengesetzes. Eine Kritik, die dieses Gesetzesvorhaben hinterfragt, setzt nicht die Menschenwürde von trans-Menschen herab, sondern legt den Fokus darauf, wie eine Ausarbeitung so gelingen könnte, dass die Würde und Sicherheit aller (!) Menschen gewahrt werden kann.
Noch ist der Mehrheit der Deutschen die Lage ganz offensichtlich nicht klar – wer will, kann gerne einmal im Freundeskreis danach fragen, was genau die aktuellen Pläne zum neuen Selbstbestimmungsgesetz sind. Und welche Auswirkungen das auf Medizin, Gesetze und das alltägliche Leben haben könnte. Fakt ist, dass der jüngste Gesetzentwurf zwar den Fokus auf die Personenstandsänderung legt, aber derzeit juristisch auch Raum dafür lässt, die medizinische Versorgung von Minderjährigen künftig sehr frei interpretieren zu können. Die Behandlung von Minderjährigen mit Medikamenten wie Pubertätsblockern ist höchstumstritten und es scheint logisch, dass die Einnahme von Tabletten, die den gesamten Umbau eines menschlichen Körpers während der Pubertät anhalten, nicht ohne Nebenwirkungen vonstattengehen kann. Bei trans-Aktivisten dagegen stehen die Tabletten derzeit auf einer Stufe mit M&Ms. Seriöse und vor allem objektive Langzeit-Fach-Studien gibt es bisher praktisch nicht, oftmals nur Untersuchungen von Interessensvertretungen für die eine oder die andere Seite. Es geht auch hierbei nicht darum, sich gegenseitig die jeweils passenden Studienergebnisse um den Kopf zu hauen, sondern um die gemeinsame Erkenntnis, dass die Einnahme von Medikamenten für eine Geschlechtsänderung umstritten ist. Es hilft also nicht, sich gegenseitig mit den Doktortiteln von Experten zu übertrumpfen, sondern es Bedarf fundierter Studien – und so lange diese nicht existieren und auch nur der Hauch eines begründeten Verdachtes existiert, dass diese Medikamente teils dauerhafte Neben- und Nachwirkungen haben könnten, sollten wir Kindern und Jugendlichen die Einnahme verweigern. Anderenfalls machen wir sie zu Versuchsobjekten. Wer diesen logischen Schritt nicht verstehen kann, der will ihn nicht verstehen – der hat abermals das Feld der sachlichen Diskussion bewusst verlassen. Wir brauchen uns exemplarisch nur die Situation aus einer anderen Perspektive ansehen: Warum erlauben wir es dann Minderjährigen nicht auch, sich selbstbestimmt tätowieren oder piercen zu lassen, ohne dass das zu rechtlichen Konsequenzen für das jeweilige Studio führen kann? Oder wie wäre es mit dem Thema Depression: Warum erlauben wir es Jugendlichen nicht künftig nach erfolgter Selbstdiagnose auch, ohne therapeutische oder medizinisch konkrete Abklärung, Antidepressiva einzunehmen? Immerhin, der Logik folgend, könne doch niemand besser wissen, wie man sich fühlt, als man selbst, oder?
Ein Schaden jenseits aktueller Diskussionen?
Es stellt sich noch eine ganz andere Frage: Wenn sich die ersten Auswirkungen auf Familien zeigen und man nach und nach die Bandbreite der juristischen und gesellschaftlichen Auswirkungen sieht, wem wird die Mehrheit der Gesellschaft dann die Schuld geben? Ein paar einzelnen trans-Aktivisten oder doch eben der ganzen LGBTQ-Gruppe und daher maßgeblich und mehrheitlich Schwulen und Lesben? Das befürchtet zum Beispiel die LGB Alliance, ein Verein, der sich nach britischem Vorbild in Deutschland explizit für Schwule, Lesben und Bisexuelle einsetzt, ohne dabei die Menschenrechte anderer Personen in Frage stellen zu wollen. „Wir gehen vom schlimmsten Szenario aus. Es existiert die mehr als reale Gefahr, dass wir alle Rechte, die wir bis jetzt erkämpft haben, wieder verlieren können. Die USA sind das derzeit beste Beispiel dafür, wo tatsächlich die gleichgeschlechtliche Ehe noch in diesem Jahr wieder fallen könnte. Wenn diese queere Entwicklung so weitergeht, werden wir wieder vermehrt Diskriminierung und Hass ausgesetzt sein und eine massive Gegenbewegung erleben. Auch mit Blick nach Großbritannien kann man gut sehen, wohin sich Deutschland gerade entwickelt und ich gehe definitiv davon aus, dass wir einen stark konservativen Backlash erleiden werden, eine Gegenbewegung, die allen in der Community massiven Schaden zufügen wird“, so Martina Haardt aus dem Vorstand der LGB Alliance gegenüber dem HIM Magazine.
Wie weit steigt die Zahl derer an, die uns ablehnen werden?
In den letzten Jahren hat bereits rund die Hälfte der Deutschen in Umfragen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ausgesagt, dass „man ja nichts Schlechtes mehr über Homosexuelle sagen dürfe“ – jeder Fünfte war zudem der Meinung, Homosexuelle hätten zu viele Forderungen. Bisher konnten wir dabei aber immer schlüssig erklären, warum beispielsweise die gleichgeschlechtliche Ehe niemandem etwas wegnimmt und dabei gleichzeitig rechtliche Gleichberechtigung schafft. Wie wollen wir nun erklären, dass Lesben in ihre Schutzräume auch Menschen mit Penis reinlassen sollen und Schwule in ihre Sex-Clubs auch Männer mit einer Vagina? Wie erklären wir, dass es nun zahlreiche Geschlechter geben solle, auch wenn die Medizin und die Wissenschaft in weiten Teilen anderer Meinung sind? Wie erklären wir, dass trans-Menschen künftig zahlreiche Sonderrechte haben bei der operativen Geschlechtsumwandungen (Krankenkassen sollen operative Eingriffe bezahlen müssen, im Gegensatz zu Schönheitsoperationen bei allen anderen Menschen zum Beispiel)? Wie wollen wir klarstellen, dass unsere Community für Toleranz steht, wenn wir aber gleichzeitig alle canceln und mit Shitstorms und den Forderungen nach Berufsverbot oblegen, die nicht sofort und ausschließlich unserer Meinung sind? Zuletzt geschehen exemplarisch beim britischen Komiker Ricky Gervais, der in seinem jüngsten Netflix-Special “SuperNature“ die Aussagen von trans-Aktivisten zitierte und zudem feststellte: „Das Schlimmste, was man heute sagen kann, ist: Frauen haben keinen Penis.“ Früher hieß es klischeehaft, Lesben hätten einfach nicht den richtigen Penis gefunden, heute müssen sie sich immer öfter anhören: Warum akzeptierst du nicht meinen weiblichen Penis? Warum ist ein lautstarker Teil der queeren Community nicht bereit, sachlich über diese Kritikpunkte von Lesben zu sprechen, ohne sie bereits vorab abermals als transphob zur Seite zu wischen? Selbst wenn diese Einwände von Lesben übertrieben wären – Konjunktiv! – so würde es doch der viel zitierte Respekt in unserer Community verlangen, dass wir uns trotzdem gemeinsam an einen Tisch setzen und sachlich darüber diskutieren.
„Wir bekommen klar mit, dass bei der Mehrheit der Heterosexuellen schon jetzt eine zunehmende Ablehnung von Themen mit LGBTQ-Bezug vorhanden ist. Nicht zuletzt auch deswegen zum Beispiel, weil ihnen mit der Gender-Sprache auch eine Sprache aufgezwungen wird, die eine deutliche Mehrheit laut mehreren Umfragen klar ablehnt. Dazu trägt auch bei, dass viele Heterosexuelle die Forderungen der Community immer mehr als maßlos übertrieben empfinden und auch mit den ganzen Buchstaben nach LGB nichts mehr anfangen können. Das ist ja teilweise sogar für Lesben, Schwule und Bisexuelle ein Rätsel“, so Haardt. Immer wieder entsteht im Gespräch mit einigen queeren Menschen der Eindruck, man müsse Heterosexuelle zur Vielfalt “erziehen“, ganz gleich ob wir dabei über das Gendern, neue Gesetzesvorhaben oder die Queer-Theorie reden. Ist ein Teil unserer Community wirklich so arrogant, dass dieser in der Annahme im Besitz der einzig wahren Wahrheit zu sein, ernsthaft glaubt, eine Bevölkerung mit mehr als 80 Millionen Menschen umerziehen zu können – oder zu müssen? Ist uns nicht klar, was für ein diktatorischer, fremdbestimmter Gedanke das ist? Und ganz ehrlich: Glauben wir wirklich, Änderungen langfristig durchsetzen zu können, wenn wir die breite Mehrheit der Gesellschaft nicht mit Logik und fundierten Argumenten, sondern mit einem Dogma überzeugen wollen, das ohne Anfeindung und Gesichtsverlust nicht hinterfragt werden darf?
Schwule, Lesben und Bisexuelle müssen sich eines bewusst werden: Unterstützen sie weiter unkritisch die queere Bewegung gerade im Bereich Selbstbestimmung, handeln sie nicht tolerant oder weltoffen, sondern tragen dazu bei, vor allem vielen jungen Lesben und Schwulen einzureden, dass es immer noch besser ist, ein vermeintlich heterosexueller trans-Mensch als eben schwul oder lesbisch zu sein. Bei den derzeit explodierenden Fallzahlen von Jugendlichen, die sich oftmals noch vor dem ersten Sex mitten in der beginnenden Pubertät als trans definieren (Zunahme um 5.000 Prozent binnen von zehn Jahren, Quelle: Tavisstock Klink für Geschlechtsdysphorie, Großbritannien), gehen nicht wenige Jugendpsychologen und Ärzte davon aus, dass viele dies deswegen tun, um veralteten Rollenklischees zu entsprechen und/oder einer unterdrückten Homosexualität zu entfliehen.
Wie homophob wollen wir selbst sein?
Noch einmal zum Mitschreiben: Wir erklären mit dem blinden Gutheißen solcher Gesetze, dass Jungs und Mädchen nicht einfach schwul und lesbisch sein dürfen, sondern in ihre gesellschaftliche Rollennorm hineinschlüpfen und dann trans-heterosexuell sein sollen. Ohne einen wahrscheinlich künftig zwingenden, ärztlichen Befund, wohlgemerkt! Warum sollen spezialisierte Fachleute künftig nicht mehr in Ruhe abklären dürfen, ob nicht vielleicht eine unterdrückte Homosexualität ursächlich für den Wunsch eines Minderjährigen sein könnte, trans werden zu wollen? Was spricht ernsthaft dagegen? Leidet der junge Mensch wirklich an einer Geschlechtsdysphorie, kann er unter Begleitung eines Facharztes die nächsten Schritte hin zu einer Transition gehen, liegt vielleicht ein anderer Grund vor, kann dem Jugendlichen geholfen werden, diesen zu erkennen und gegebenenfalls seine Homosexualität anzunehmen. Haardt von LGB-A dazu: „Früher hat man jungen Mädchen erklärt, wie sie sich verhalten müssen, damit sie ein Mädchen sind. Heute wird jungen lesbischen und bisexuellen Mädchen erklärt: Wenn du dich wie ein Junge verhältst, dann bist du ein Junge. Und dann öffnen wir dir den Weg zu sämtlichen medizinischen und chirurgischen Eingriffen, damit du dem perfekten heteronormativen Bild eines heterosexuellen Jungen entsprichst. Das ist nicht mehr oder weniger als pure Homophobie, hübsch neu verpackt. Wir nennen das Homophobe 2.0, das ist schlicht Homofeindlichkeit direkt aus der Community. Das passiert, weil Menschen das Konzept von Homosexualität nicht klar ist, oder sie aber bewusst Lesben und Schwule missbrauchen, um ihre eigene Validierung voranzutreiben.“ Dabei beteuert Haardt weiter: „Wir möchten beiden Geschlechtern nur die Möglichkeit geben, im Einklang mit ihrem völlig gesunden Körper zu leben und ihren Interessen nachzugehen, egal ob die Gesellschaft dies für typisch für das jeweilige Geschlecht hält oder eben auch nicht. Was spricht dagegen, dass ein Junge gerne Kleider trägt oder sich schminkt? Warum ist es falsch, wenn ein Mädchen sich für Fußball interessiert oder gerne handwerklich tätig ist? Können wir junge Menschen dies nicht einfach ausleben lassen, ohne ihnen zu suggerieren, sie seien im falschen Körper? Und mal nachgefragt: Wie oft wird sich ein schwuler Junge künftig Beleidigungen am Schulhof anhören, wenn ihm gleichzeitig erklärt wird, dass er mit seiner femininen Ausstrahlung doch auch ein trans-Mädchen sein könnte – und damit scheinbar heterosexuell, denn er steht ja weiter auf Jungs. Das Problem der Beleidigungen und Diskriminierung wurde also ganz einfach gelöst – scheinbar. Und das mit fatalen Folgen für die Entwicklung und das restliche Leben dieses jungen Menschen.“
Bisher sind die Hürden zur Geschlechtsangleichung noch deutlich höher, zwei psychologische Gutachten müssen beispielsweise die sogenannte Geschlechtsdysphorie bestätigen, also das dauerhafte Gefühl, im falschen Körper zu stecken und diesen mit all seinen Geschlechtsmerkmalen abzulehnen. Das passt schon einmal nicht zusammen mit Aussagen von einigen trans-Politikerinnen, die erklärten, dass der Penis nicht per se ein männliches Geschlechtsteil sei. Meinen wir wirklich, mit einer solchen Aussage bei der Mehrheit der Menschen auf offene Ohren zu stoßen? Einige trans-Personen erklären, dass die psychologischen Gutachten menschenunwürdig seien, weil sehr intime Details über das Sexualverhalten abgefragt werden. Andere trans-Menschen widersprechen dieser Beurteilung und halten die Gutachten für richtig. Dabei stellen sich allerdings mehrere Fragen: Was sonst soll ein Psychologe fragen, wenn es um sexuelle Anziehungen in einem gefühlt falschen Geschlecht geht? Warum ist es schwer, in einem geschützten Raum gegenüber einem Fachmann über intime Gedanken reden zu können? Genau dafür sind Psychologen da. Und gehört das Gespräch genau über diese Thematik nicht sogar zwingend auf den Tisch, wenn das gesamte restliche Leben eines Menschen davon abhängt? Und sind diese Gespräche dann nicht noch wichtiger bei einer Person, die noch nicht volljährig ist und wie wir alle auch mitten in der Pubertät oftmals wankelmütig, emotional nicht gefestigt und kurzentschlossen sein kann? Wenn ich als erwachsene trans-Person gefestigt in meinem Wissen bin, transsexuell zu sein, sollte es mir doch möglich sein, darüber offen und auch mit intimen Details in einem geschützten Rahmen sprechen zu können. Eine solche Forderung negiert wieder weder das Menschenrecht einer trans-Person, noch ihre Selbstbestimmtheit. In der ZDF-Sendung “13 Fragen“ vom Juni 2022 konnten sich am Ende die Anwesenden in dieser Debatte darauf verständigen, dass es für Minderjährige und Erwachsene durchaus sinnvoll sei, gesetzlich verpflichtend eine therapeutische Begleitung und Abklärung zu erhalten – auch trans- und nicht-binäre Gäste stimmten dem zu. Ein Vorschlag, der sofort zur Beruhigung beider Seiten beitragen könnte, aber bis heute im politischen Diskurs nicht einmal ohne sofortige Schmähung erwähnt werden darf.
Wer lauter brüllt, hat recht.
Und? Zucken schon die Finger nervös auf, um den nächsten Shitstorm vom Zaun zu brechen? Macht das nicht langsam einfach müde? Eine sachliche, breit geführte Debatte wäre so dringend nötig, ohne dass wir stets das Schlimmste von unserem Gegenüber annehmen. Doch wir zerfleischen uns lieber weiter selbst und es gilt das Credo: Entweder bist du bedingungslos und unkritisch für mich, oder du bist der Erzfeind. Haardt dazu: „Seit dem ersten Tag unserer Gründung haben wir es mit Verleumdungen zu tun, allesamt aus dem queeren Bereich. Die ersten drei Tage, als wir online waren, wurden wir gleich vom ersten Shitstorm überrannt. Da wird gerne sofort behauptet, wir wären eine rechte Hassgruppe, das stimmt nicht und ist überdies absurd. Viele unserer Mitglieder kommen aus dem linken Lager. Man sieht hier auch ganz klar, dass dieses Hinzufügen von weiteren Buchstaben vor dem Wort Community nicht im Sinne von Lesben, Schwulen und Bisexuellen ist.“
Aber woher kommt diese Aggressivität, warum können wir uns selbst nicht mehr zuhören, canceln uns ab, überfluten uns gegenseitig mit Shitstorms? Für Haardt ist die Sache mit Blick auf die trans-Community klar: „Wenn man das Gefühl hat, dass die eigenen Argumente nicht stichhaltig sind und auch keiner wissenschaftlichen Betrachtung standhalten, dann reagiert man natürlich gerne mit Aggressionen und versucht den Gegenüber so zu beeindrucken. Wir bemerken hier die ersten Anfänge jener Zustände, die beispielsweise in den USA oder in Großbritannien bereits viel stärker und gewalttätiger ausgeprägt sind. Das kommt alles jetzt leider auch hier nach Deutschland. Inzwischen ist auch der Aggressionslevel der trans-Aktivisten hier so hoch, dass sie zum Beispiel einen Farb-Anschlag auf das SPD-Büro in Haltern oder auf ein Frauenzentrum in Halle verüben. Wir erinnern uns auch an den Pride in Köln, bei dem Lesben brutal vom CSD weggejagt worden sind, einfach nur, weil sie ein Schild trugen, auf dem stand: Lesben haben keinen Penis. Da steigert sich etwas leider immer weiter hoch. Das ist etwas, was wir einfach nicht akzeptieren können, wir sind ein gewaltfreier und überparteilicher Verein. Einschüchtern kann man uns damit nicht!“
Fürwahr, eine hoch emotionale Debatte, aber eine, die trotzdem mit Sachlichkeit geführt werden müsste. Emotionen gibt es zudem auf beiden Seiten, denn nicht nur trans-Menschen sehen ihre vermeintlichen Rechte beschnitten, auch Schwule und Lesben sehen sich immer mehr in die Unsichtbarkeit gedrängt – sie waren jene, die mehrheitlich seit Jahrzehnten bis heute für Gleichberechtigung und Akzeptanz kämpften, durch die Aids-Krise und die Stigmatisierung der “Schwulenseuche“ gingen und viele Jahre lang gegen den Hass aus der Gesellschaft und rechtliche Diskriminierung (Paragraf 175 StGB – Verbot von homosexuellem Sex) ankämpften.
„Ich habe den Eindruck, dass LGB irgendwann von dieser Community wegfällt – was bleibt ist eine TQI*-Community. Alle Strukturen, die wir über viele Jahre aufgebaut haben, sind mittlerweile in der Hand von Anhängern der Queer-Theorie. Lesben versuchen in Deutschland mühsam seit zwei Jahren neue Strukturen aufzubauen, um sich wieder ungestört und geschützt treffen zu können. Die gleiche Bewegung, das gleiche Bemühen nehmen wir jetzt auch in Teilen der schwulen Community wahr. Queer hat zudem eigentlich nicht mehr viel mit uns LGBs zu tun. Denn nach der Queer-Theorie nach Judith Butler kann sich auch jeder heterosexuelle Mensch als queer bezeichnen. Es wird zwar noch innerhalb der Queer-Community darüber gestritten, ob es jetzt reicht, ein Gefühl dafür zu haben, nicht heterosexuell zu sein, aber Butler hat es im Grunde bereits klar gesagt: Jeder Heterosexuelle kann sich als queer definieren. Wofür gibt es dann überhaupt den ganzen Buchstabensalat?“
Und obwohl selbst oftmals scheinbare Queer-Experten vielfach Fragen nicht beantworten können oder mit vorgefertigten Aussagen an der Fragestellung vorbei antworten, ist Queer medial und bei vielen Firmen auch jetzt zum Pride inzwischen in aller Munde – wer nicht queer ist, ist scheinbar out. Wer einfach nur schwul, lesbisch oder bi ist, scheint altbacken und/oder cis. Ein medialer Todesstoß, sozusagen. Warum darf das nicht auch als verletzend empfunden werden? Und warum sind wir uns anscheinend so sicher, dass diese Firmen den Trend nicht nur deswegen mitmachen, um Kapital daraus zu schlagen, anstatt ernsthaft an die queere Sache zu glauben, die in den allermeisten Fällen vom Pressechef bis zum Direktor keiner so richtig erklären kann? Was passiert, wenn der Wind sich in der Mehrheit der Gesellschaft wieder dreht – was werden diese unternehmerischen Mitläufer tun, denen wir nicht mit Argumenten und Vernunft, sondern mit erzwungener Weltsicht gekommen sind? „Queer ist heute für viele einfach trendy und lässt sich gut verkaufen, daher springen auch gerne viele Unternehmen darauf auf. Queer zu sein, scheint am Puls der Zeit zu sein. Was viele in der Community dabei aber nicht sehen: Uns Lesben, Schwule und Bisexuelle macht es unsichtbar. Und wer nicht mehr gesehen wird, braucht ja scheinbar auch keine Rechte mehr. Wenn man sich einmal die ganzen Vertreter der Community ansieht, auch oftmals jene in den alteingesessenen Verbänden, da sind inzwischen fast alle auf den Queer-Zug aufgesprungen – und selbst wenn nicht, dann wagen sie es gar nicht mehr, Bedenken laut zu äußern. Da ist gar keine Diskussion mehr möglich“, so Haardt weiter.
Eigentlich wäre es ganz einfach – es bedürfte ehrlicher Fakten und Studien, beispielsweise gerade auch bei der Arbeit mit Jugendlichen, wie sich das auch die LGB Alliance erhoffen würde. Die Unvernunft geht indes unbeirrt weiter, so scheint es: „Meinungsfreiheit bedeutet eigentlich, dass man seine Meinung sagen darf und kann, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, gerade wenn es sich um eine faktenbasierte und sachliche Meinungsäußerung handelt. Nicht so in der Queer-Theorie. Der queere Meinungskorridor ist sehr eng und wird immer enger. Irgendwann wird die Gesellschaft als Ganzes davon genug haben und diese Gegenbewegung, die dann kommt, wird vor allem uns LGBs treffen! Zuvor werden bereits heute unsere sexuelle Orientierung und unsere homosexuelle Geschichte umgeschrieben. Plötzlich ist alles schon immer queer gewesen und wir würden trans alles verdanken – das ist schlichtweg nicht wahr. Es waren Lesben, Schwule und Bisexuelle, die für ihre Rechte gekämpft haben. Die alles aufgebaut und erkämpft haben. In unserem Fahrwasser hat die queere und die trans-Community erst ihre Rechte bekommen.“
Und so bleibt der Zustand wie zu Beginn erklärt, anscheinend weiter bestehen – viele wenden sich auch innerhalb der Community ab, um nicht sofort “irgendwas-phob“ zu sein, wie Haardt das augenzwinkernd nennt, sobald man versuchen würde, rational zu agieren: „Wenn man das erste Mal damit konfrontiert wird, ist man etwas fassungslos. Aber es härtet einen auch ab. Nach drei Jahren intensiver Arbeit mit LGB und Social Media, bin ich eigentlich eher überrascht, wenn ich auf einen Menschen mit gesundem Menschenverstand stoße!“ Ein verständliches, wahrscheinlich sehr zutreffendes und gleichzeitig todtrauriges Urteil über den Zustand unserer Community im Jahr 2022. (ms)



